Hauptausgabe vom 27.06.2001 - Seite 015
"Meine Eltern flüchten in unsere Tiefgarage"

VON SABINE NOVAK

LINZ. "Wir haben Angst, dass uns einmal alles um die Ohren fliegt", sagt Neuber-Anrainer Christian Berthold: "Und die Politiker tun nichts."

Als der Brand ausbrach, saß der Verkehrstechniker in seinem Büro. Aber seine Eltern Edeltraud und Adolf Berthold waren daheim. "Sie haben mich gleich angerufen. Sie hatten solche Angst, dass sie in die Tiefgarage geflüchtet sind, für den Fall, dass giftige Gase frei geworden sein könnten. Man weiß es ja nicht. Die Garage ist aus Stahlbeton und hat nur zwei kleine Drahtglasöffnungen. Da saßen sie auf Baugerümpel und froren. Es ist ziemlich kalt da unten und finster. Aber sie hatten ja elektrisches Licht", erzählt der Verkehrstechniker den OÖN: "Meine Frau und meine beiden Söhne im Alter von neun und 13 Jahren waren wenigstens zum Glück nicht daheim. Unser Haus steht ganz in der Nähe der Firma Neuber. Meine Eltern und ich haben schon lange bevor sich dieser Betrieb und der angrenzende Gashändler Flaga angesiedelt haben, dort gewohnt."

"Kalender und Samen als Ersatz für von Chemikalien vernichtete Pflanzen", hätten sie schon von den Firmen bekommen.

Heftige Anrainerproteste

Erst im Februar des heurigen Jahres hatten 150 Anrainer im Süden der Neuen Heimat die Absiedlung der Betriebe gefordert. Wenige Monate zuvor war die Diskussion aufgeflammt, weil auf einem an die Firma Neuber angrenzenden Grundstück vier bis fünf Wohnblocks hätten entstehen sollen.

Der Gemeinderat gab laut Vizebürgermeister Franz Obermayr zunächst sogar die Zustimmung dafür. Erst in der zweiten Instanz sei der Beschluss aufgehoben worden: Die Raumordnungs-Behörde des Landes stimmte nicht zu, ihr Leiter Karl Wögerbauer sieht sich heute in seiner Entscheidung klar bestätigt. Neuber-Geschäftsführer Helmut Struger hatte heftig gegen diesen Plan protestiert: "Unser Unternehmen fällt in die Seveso-II-Richtlinie. Also haben neue Wohnbauten in der Nachbarschaft nichts zu suchen." Die Neuber-Gruppe wurde Anfang 2000 von der Brenntag AG, einer Tochter des deutschen Logistikkonzerns Stinnes übernommen. Es gibt drei Standorte in Österreich.

In Briefen an den Linzer Bürgermeister Franz Dobusch, den Trauner Ortschef Peter Schlögl und Landeshauptmann Josef Pühringer forderten die Anrainer die Absiedlung von Neuber und Flaga. Die Kosten würden etwa 150 Millionen S betragen.

Volksschüler wurden evakuiert

Sicherheitshalber wurde die Bevölkerung via Radio angewiesen, die Fenster zu schließen. Mehr als 300 Schüler der Volksschule Wegscheid und Kindergartenkinder flüchteten von sich aus in den Haidgattern-Park. "Denn erst vor wenigen Monaten hat uns die Firma Neuber informiert, dass im Fall einer Explosion in einem Umkreis von 450 Metern alles hin ist", ist Ludwig Eidenhammer außer sich. Er wohnt in einem 40-Parteien-Hochhaus rund 200 Meter von Flaga und Neuber entfernt.

Neuber-Geschäftsführer Helmut Struger zeigte sich wegen des Unglücks zutiefst betroffen, "vor allem, weil einer unserer Mitarbeiter schwerst verletzt wurde". Ob Opresnigg, dessen Haut zu 90 Prozent zweit- und drittgradig verbrannt ist, überleben wird, ist noch unklar. UKH-Verbrennungsspezialist Dr. Herbert Haller hat seinen Urlaub unterbrochen, um sich persönlich um den lebensgefährlich Verletzten zu kümmern. (ro)

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Giftgaswolke über Linz

Im Juli vor acht Jahren explodierte ein Tankwagen auf dem Gelände der Firma Neuber. Eine Giftgaswolke zog über Linz hinweg. Rund 1000 Liter ätzender Chemikalien flossen aus. Fünf Arbeiter wurden teils schwer verletzt. Anrainer klagten über beißenden Gestank und tränende Augen. Sie wurden aufgefordert, sicherheitshalber die Fenster zu schließen. Eine chemische Reaktion zwischen einer zu entsorgenden Natriumhypochloridlauge mit Resten von Ammoniumphosphat im Kessel des Welser Tankwagens soll die Ursache für die Explosion gewesen sein. Der Tank sei mangelhaft gereinigt worden. Neuber kündigte daher damals Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe an den Welser Betrieb an.

Politikeraufmarsch bei Brand

Die Brandkatastrophe beim Chemiegroßhändler Neuber lockte Politiker und Behördenvertreter gleich in großer Zahl an: Neben Landesrat Walter Aichinger und dem Linzer Vizebürgermeister Franz Obermayr interessierten sich auch der Trauner Bürgermeister Peter Schlögl, Stadtamtsdirektor Georg Wojak, Bezirkshauptmann Rudolf Doleschal und Gewerberechtler Ernest Vatier für das Geschehen. Weil die Linzer Polizei, die die Zufahrtsstraßen abgesperrt hatte, Schlögl nicht durchließ, musste das Trauner Stadtoberhaupt erst einen Schleichweg nehmen, um auch vor Ort zu sein. Diskussionsschwerpunkt am Brandort: Wie ist ein Mix von derart gefährlichen Betrieben in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Wohngebiet möglich?


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